Ich habe in meiner beruflichen Laufbahn als Senior Executive und Mitglied des Executive Boards unzählige Situationen erlebt, die mich zugegebenermaßen herausgefordert haben. Unerwartete Entwicklungen sowohl extern am Markt (Pandemie, negative Marktzyklen, Preispolitik der Marktbegleiter, Kostenexplosion der Hauptrohstoffe,…) aber auch intern in der Organisation und in den Produktionswerken (unerwartete und plötzliche Stillstände, zunehmende Personalfluktuation,…) haben die Komplexität erhöht.
„STOP!“, so wie wir es aus der Sicherheitsarbeit kennen, war hier sehr hilfreich. Entschleunigen, die Situation, Team, Organisation, Prozesse beleuchten, Erkenntnisse gewinnen und Hypothesen bilden, daraus Handlungsanleitungen ableiten und diese umsetzen. Dabei die Herausforderung akzeptieren und die Gelegenheit nutzen, meine eigene Verhaltensweise zu reflektieren. So habe ich diese schwierigen Situationen genutzt, um persönlich zu wachsen und sie mit dem Team und der Organisation erfolgreich zu lösen.
Die steigende Lebenskurve
Letzten Endes geht es im Führungsalltag immer darum, mit Spannungen umzugehen und diese in Balance zu bringen. Auf der einen Seite will man als Führungskraft die vorhandene Geschäftstätigkeit mit gleichzeitiger Erhöhung der Umsatzrentabilität ausbauen, sowie zukunftsorientiert neue Weichenstellungen durch Innovationen setzen.
Diese Ambiguität und die daraus resultierenden Spannungsfelder – nicht ausreichend adressiert – wirken sich negativ auf die Performance der Mitarbeiter:innen, der Teams und schlussendlich der gesamten Organisation aus.
Die Symptome in der Organisation: unerwartete Stillstände, Probleme, Konflikte, verringertes Engagement. Speziell in Zeiten, wo man genau das Gegenteil benötigt, nämlich reibungslose Abläufe und motivierte Mitarbeiter:innen.
Mein Learning aus diesen Situationen: als Führungskraft kann ich die externen Bedingungen nur schwer beeinflussen. Ich kann aber sehr wohl beeinflussen, wie ich mit diesen umgehe und die Teams und Organisation auf diese Zyklen vorbereite. Der Ansatz hierbei ist nicht das lineare Denken mit linearem Wachstum, sondern die Fragestellung:
Wie kann ich aus der Geschäftstätigkeit eine steigende Lebenskurve gestalten, auf der die zukünftigen Täler höher liegen als die vergangenen Erfolge?
Die Spannungsfelder im Führungsalltag
Bevor ich jedoch die steigende Lebenskurve in der Organisation gestalte, muss ich mir den Spannungsfeldern bewusst werden. Mit den folgenden Spannungen habe ich es als Führungskraft im beruflichen Kontext zu tun gehabt.
Funktionalität („Es muss funktionieren!“)
Effizienz („Es muss sich rechnen!“)
Legalität („Es muss Gesetzes-komform sein!“)
Ethik („Es muss sittlich gut sein“)
Nachhaltigkeit („Ressourcen müssen regeneriert werden!“)
Innovation („Die langfristige Zukunft muss gesichert sein!“)
Und zusätzlich kommt noch die individuelle Ebene der Mitarbeiter:innen hinzu:
Wofür komme ich in die Arbeit? („Wieso tue ich mir das an...?“)
Welchen Entscheidungsspielraum habe ich? („Die Bürokratie ist überbordend...“)
Wie ist der Zusammenhalt in der Abteilung? („Jeder schaut eh nur auf sich selbst...“)
Wie sieht die Kompetenz der Mitarbeitern:innen aus? („Eigentlich könnte ich mehr, aber…“)
Und wie soll das alles nun unter einen Hut gebracht werden? Wie soll das funktionieren?
Alleine geht das gar nicht. Jedoch nicht verzagen: man kann die innere Energie der Mitarbeiter:innen entfachen.
Das ist die gute Nachricht: diese innere Energie ist noch vorhanden, sie braucht nur entzündet werden. Am besten mit Authentizität auch in den schwierigsten Situationen. Authentizität entsteht, wenn man das sagt, was man tut und das tut, was man sagt.
Gepaart mit Empathie und den Grundsätzen der systemischen Führung, habe ich als Führungskraft äußerst wirksame Werkzeuge in der Hand.
Die systemischen Führungsprinzipien
Zunächst ein äußerst wichtiger Hinweis: Die folgenden Prinzipien sind für alle Menschen im Unternehmen gültig, unabhängig ob Führungskraft oder nicht. Sie heißen Führungs-prinzipien deswegen, weil Führungskräfte besonderen Einfluss auf die Kultivierung dieser Prinzipien haben.
Akzeptanz - Open Mind
Ohne Akzeptanz kommen wir nicht weiter. Oftmals sind äußere Umstände so wie sie sind und nicht veränderbar. Was wir jedoch verändern können, ist wie wir mit den spezifischen Situationen umgehen. Und versuchen daraus für die Zukunft zu lernen und es anders zu machen. Hierbei müssen wir auch folgende Reihenfolge akzeptieren:
Vorrang Kompetenz und Einsatz
Hierarchie („oben“ vs. „unten“)
Ausgleich Geben und Nehmen
Was hemmt uns in der Akzeptanz? Die Sprache der Bewertung.
Lasst uns einfach die Wörter „gut“ oder „schlecht“ austauschen mit „hilfreich“ oder „nicht hilfreich“. Dies alleine macht schon einen großen Unterschied aus!
Würdigung - Open Heart
Ohne Würdigung existiert kein Raum für Zukunft. Es gibt Gründe, weshalb die Situation heute so ist, wie sie ist. Ohne dem, was in der Vergangenheit passiert ist, wären wir heute nicht hier. Aus diesem Grund stellt die Würdigung einen wichtigen Schritt dar, um neue Zukunftsräume gestalten zu können. Einen entsprechenden Rahmen hierfür zu bieten ist somit unerlässlich. Die Würdigung umfasst:
die Anerkennung des Vorhandenen
die Altersreihenfolge der Mitarbeiter:innen („älter“ vs. „jünger“)
die Zugehörigkeit („länger“ vs. „kürzer“ und bereits ausgeschiedene Mitarbeiter:innen)
Was hemmt uns in der Würdigung? Die Sprache des Zynismus.
Lasst uns einfach aus dem Herzen heraus wertschätzendes Feedback geben und stolz darauf sein, was bis jetzt alles erreicht wurde. Die zukünftigen Herausforderungen werden wir locker schaffen!
Zusammenarbeit - Open Will
Ohne Zusammenarbeit würde das Unternehmen nicht existieren. Schlussendlich können wir im Unternehmen nur gemeinsam die Produkte und Dienstleistungen erschaffen und verkaufen, die zu dem notwenigen und gewünschten Umsatz führen und unsere Visionen und strategischen Ziele realisieren. Aus diesem Grund ist es wohl eine der wichtigsten Führungsaufgabe, die Zusammenarbeit zu fördern. Die wesentlichen Elemente hierbei sind:
die Achtung und Wertschätzung der Menschen im Unternehmen
die Lösungsorientierung
die Zweck- und Aufgabenorientierung
Was hemmt uns in der Zusammenarbeit? Die Sprache der Angst.
Lasst uns einfach mit den „Wenn-Dann“-Beziehungen im Geschäftsleben aufhören und den gemeinsamen Purpose in den Vordergrund stellen.
Der ausblick
Aktuell stehen wir in der Wirtschaft in einer Situation, die zugegebenermaßen nicht einfach ist. Genau in dieser Zeit muss man sich als Führungskraft stetig hinterfragen, mit welchen Interventionen die gemeinsame innere Energie gezündet werden kann. So kann man auch diese Situation erfolgreich meistern. Wenn man genau hinsieht und hineinspürt, eröffnen sich bei trüber Aussicht immer wieder neue Wege, die schlussendlich zu neuen Perspektiven führen. In China sagt man zu Krise Wéijī.
危机
危 steht für Gefahr und Risiko.
机 steht für Chance.
Die Anwendung der systemischen Führungsprinzipien hilft, näher an die Quelle zu gelangen was wirklich bewegt und selbst in schwierigen Zeiten die innere Energie der Teams und der Organisation zu zünden um Probleme und Herausforderungen als Chancen zu sehen und sie gemeinsam zu meistern. So entsteht proaktiv Zukunft und Transformationen können erfolgreich gestalten werden.
Dies führt mich zu den Fragen:
Welche ist Ihre Quelle aus der Sie handeln?
Wie navigieren Sie in schwierigen Zeiten?
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